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Interview Harald Fiedler

Wenn du den Onlineshop nicht siehst und Alexa dich nicht versteht

„Meistens verwende ich den Routenplaner, oder um per Lieferservice etwas zu Essen zu bestellen, oder um mich in verschiedenen Onlinezeitungen über das tägliche Geschehen zu informieren.“

Was für die meisten Menschen nach keiner sehr außergewöhnlichen Internetnutzung klingt ist für Harald Fiedler in erster Linie eines – beschränkt. Das Internet ist eine Welt voller Services, die er gerne intensiv nutzen würde, aber nicht nutzen kann. Harald Fiedler ist praktisch blind. Er kann hell und dunkel unterscheiden, aber nichts erkennen. Einen Nachmittag lang hat er sich Zeit genommen, um mit uns über Internetnutzung von blinden Usern zu sprechen und um uns zu zeigen, wie alternative Bedienung mit Sprachausgabe funktioniert. Oder eben meistens leider nicht funktioniert.

Das Smartphone in der Hosentasche, als Tor zur digitalen Welt, ist für Harald etwas mühsam zu bedienen. Er nutzt es auch hauptsächlich zum Telefonieren und weniger zum Surfen. Am PC mit Sprachausgabeprogramm ist er geübter und kommt schneller voran. Harald verwendet das Sprachausgabeprogramm JAWS. Eine elektronische Stimme liest ihm alle Inhalte der Website vor und gibt Hinweise auf Links und Schaltflächen, die er verwenden kann. Steuern funktioniert mithilfe einer handelsüblichen Tastatur.

Für die rund 300.000 Sehbehinderten und Blinden in Österreich wären Onlineshops im Alltag eine große Erleichterung. Viele brauchen beim Einkaufen die Hilfe eines persönlichen Assistenten und sagen diesem an, was sie gerne kaufen möchten. Harald bekommt dann zwar, was er möchte, was es alles zur Auswahl gäbe, weiß er aber nicht:

„Die ganze Produktvielfalt geht verloren, man kann zwar mit seinem Assistenten einkaufen gehen, und sagen ‘Ich will ein Mineralwasser’ aber wie viele verschiedene Sorten Mineralwasser es gibt, das habe ich erst am Wochenende (Anmerkung: im Onlineshop einer großen Handelskette) herausgefunden. Dass es da verschiedenste Geschmäcker gibt, mit Holunder, Melisse-Pfeffer, Birne und wos was i – dass es diese verschieden Sorten gibt, kann man sich nur im Internet in Ruhe anschauen.“

Amazons sprechende Lebenshilfe „Alexa“ haben Harald und seine ebenfalls blinde Frau zuhause ausprobiert.

„Meine Frau und ich waren mal neugierig, wie das mit der Bestellung funktioniert und meine Alexa hat gleich eiskalt zugeschlagen und mir einen größeren Posten WC-Papier zukommen lassen. Wir wollten Druckerpapier bestellen.“

Man merkt, meint Harald, dass die Sprachsoftware noch in der Entwicklung ist. Seinen niederösterreichischen Dialekt versteht Alexa nicht sehr gut, das Hochdeutsch seiner Frau schon eher.

Kein Onlineshop für Blinde.

Einen barrierefreien Onlineshop, bei dem er alleine, ohne Unterstützung, einkaufen kann, konnte Harald nicht nennen.

„Amazon ist nicht barrierefrei. Kein Weg führt an Amazon vorbei aber die sind nicht barrierefrei. Eigentlich muss ich sagen, es fällt mir kein barrierefreier Webshop ein, in dem ich so richtig ganz ohne Barrieren schon einmal etwas bestellt habe.“

Zur Erinnerung: wir sprechen von rund 300.000 Kunden, die gerne wollen, aber nicht können. Allein in Österreich.

Oft scheitert es an scheinbar kleinen Details, die für blinde Menschen eine unüberwindbare Hürde darstellen. Bei der Registrierung im Onlineshop einer großen, heimischen Supermarktkette etwa müssen Benutzer am Ende der Registrierung eine Sicherheitskennung, einen sogenannten „Captcha“ abfragen und eingeben. Die Seite tut barrierefrei und bietet auch einen Audio-Captcha zum Anhören an. Leider nur auf Englisch und unverständlich.

Harald Fiedler zeigt uns wie Blinde ein Smartphone bedienen. Ohne Überschriften und richtig benannte Schaltflächen ist die Orientierung schwierig.

„Beim Audio-Captcha war nichts zu verstehen und nach dem dritten Mal hat mich das System rausgeworfen und ich konnte von neuem beginnen. Jeder Blinde, den ich kenne, lässt diese Captcha-Abfrage immer von Sehenden überbrücken. Aber es wäre ja auch ein Merkmal der Inklusion, dass man das ohne fremde Hilfe machen kann.“

Ein starkes Netzwerk

Dabei könnten sich gut gemachte, barrierefreie Angebote im Web großer Beliebtheit und einer treuen Anhängerschaft in der Blindencommunity sicher sein. Brauchbare, das heißt barrierefreie Websites werden gerne und viel geteilt und weiterempfohlen.

„Das passiert in WhatsApp-Gruppen, auf Facebook oder per E-Mail. Es wird gesagt, wo du besonders freundlich bedient oder aufgenommen wirst oder wo man auf deine Bedürfnisse eingeht, ob man schnell Antworten bekommt oder nicht.“

Post von Harald

Wenn er merkt, dass eine Website nicht barrierefrei ist, ist er ganz schnell weg. Handelt es sich um ein exklusives Angebot, probiert Harald manchmal noch zwei verschiedene Browser aus, das hilft in seltenen Fällen. Gibt es alternative Anbieter, verlässt er die Seite sofort. Jedoch nicht, ohne vorher eine Nachricht an die Betreiber zu mailen. Vorausgesetzt, er findet die Adresse.

„Bevor ich die Flinte ins Korn werfe, schreibe ich ihnen, (…) dass die Seite Schrott ist, und dass ich nicht damit umgehen kann. Und dass sie doch ein wenig Rücksicht auf mich nehmen und mich nicht ausschließen sollen. Wenn es Alternativen gibt, bin ich sofort weg. Aber nicht ohne das Mail geschrieben zu haben. Das Mail schreibe ich immer.“

Auf Haralds Mails geantwortet hat bisher keine der Firmen. Unseren Eindruck, dass zum Thema barrierefreies Web viel Halb- oder eher Viertelwissen kursiert, kann er nur bestätigen: „Das Wissen sollte mehr verbreitet sein, überhaupt im Firmensegment – blinde Menschen sind auch Kunden.“

Zugang für Alle? … Nein.

„Leider sind die wenigsten Websites barrierefrei, höchstens ein Drittel würde ich sagen. Und wenn ich im Internet surfe fühle ich mich deprimiert und ausgeschlossen.“

Eine Wohltat sind laut Harald die Seiten der österreichischen Ministerien, da gibt es meist schon einen sehr hohen Standard. Was für Harald bei der Bedienung von Websites oft eine Farce oder alltägliche Notwendigkeit ist, ist für unsere Websiteentwickler eine besondere Expertise und wichtiger Input für von uns entwickelte Seiten. Wenn wir Websites auf Barrierefreiheit checken unterstützt er uns manchmal mit einem Anwendertest. Harald empfiehlt:

  • Barrierefrei nach Level A ist zu wenig, AAA ist übertrieben, AA ist sehr gut brauchbar.
  • Seitensuche und Sitemap sind für blinde User sehr wichtige Navigationselemente. Das erspart oft langwierige Suchen oder das Vorlesenlassen der gesamten Seite.
  • Ein häufiges Ärgernis in der Bedienung mit Sprachausgabe sind falsch benannte Elemente. Wenn ein Textfeld, ein Link oder eine Schaltfläche falsch oder nicht benannt werden kann es von der Sprachausgabe nicht wahrgenommen und vom User nicht verwendet werden.

Zugang für Alle – gugler* MarkenSinn baut schon seit Anfang 2016 nur noch barrierefreie Websites und engagiert sich unter anderem für die Entwicklung eines Zertifikats für barrierefreie Websites in Österreich. Kunden, Agenturen und Partner unterstützen wir gerne mit unserem Web-Accessibility-Check – einem Barrierefreiheitscheck für Websites.

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